Als ich Frank Metasch aus Eckernförde, der den Seeadlerhorst in der Nähe des Fundortes über das ganze Jahr beobachtet, benachrichtigte, sagte dieser spontan zu, mitzukommen. 30 Minuten später waren wir vor Ort. Die Polizei Schwedeneck und der Gutsbesitzer hatten die Nebenstraße vorbildlich abgesperrt und zeigten uns schließlich den Fundort. Und tatsächlich, es handelte sich um einen jungen Seeadler.
Der Hinweis auf Scherben eines Autoblinkers sowie eingetrocknete Blutspuren auf der Straße, ließen schnell vermuten, dass der Adler mit einem Fahrzeug kollidierte und der Fahrer des Kraftfahrzeuges weiterfuhr, ohne die Polizei zu informieren. Zunächst konnten wir ausschließen, dass der vermeintliche Seeadlerunfall erst, wie von Passanten vermutet, vor ein oder zwei Stunden geschah, denn massenhaft Schmeißfliegen hielten sich bereits am Körper des Seeadlers auf.
Es ist davon auszugehen, dass ein derartiger Zusammenstoß mit einem KFZ zum Tod bzw. zu tödlichen Verletzungen des Seeadlers geführt hätte und von daher unwahrscheinlich ist. Adlerexperte Uwe Robitzky ist sich aufgrund der ihm vorgelegten Fotos sicher: „Wäre ein Seeadler hier derartig mit einem Auto kollidiert, wäre die Leber des Adlers dabei zerrissen und der Vogel innerlich verblutet.“
Uwe Robitzky vermutet, dass der junge Seeadler sich – möglicherweise bei seinem Jungfernflug – an Ästen o.ä. an den Schwingen verletzt hat und in Nähe des Fundortes landete.
Problemlos ließ sich der Seeadler einfangen und wir verstauten ihn sicher in der Transportbox und verdeckten diese mit einer Decke.
Schnell konnten wir Christian Erdmann vom Wild- und Artenschutzzentrum in Klein Offenseth-Sparrieshoop bei Elmshorn informieren, welcher sofort zusagte, Platz für unseren Patienten zu schaffen.
Leider kamen wir aufgrund eines kurz vor uns geschehenen, schweren Verkehrsunfalls in einen langen Stau auf der Autobahn. Über Nebenstrecken erreichten wir die Auffangstation, wo Christian uns mit zwei Mitarbeiterinnen bereits erwartete. Nun zeigte sich das ganze Übel: Unter den Schwingen und am Stoß wimmelte es nur so von Maden. „Aufgrund der Madenbildung dieser Größe und des sehr geschwächten Zustands des Adlers, müssen wir davon ausgehen, dass der Seeadler bereits 4-5 Tage ohne Nahrung auskommen musste“, sagt Uwe Robitzky.
Sofort wurde der Greifvogel zwangsversorgt, mit Medikamenten behandelt und anschließend immer wieder gespült und gespült. Doch es kamen immer mehr Maden aus dem Körper des Tieres. Mit Engelsgeduld zogen die Helferinnen die Maden mit einer Pinzette aus dem Körper. Obwohl keine Brüche spürbar waren, wurde deutlich, dass die Lage ziemlich hoffnungslos ist. Zudem befand sich der Seeadler vom Nachmittag an in der Gegenwart von Menschen und somit ständig in Todesangst.
So entschied man sich, den Greifvogel im Dunkeln zu verwahren und zur Ruhe kommen zu lassen.
Um ca. 23.00 Uhr kehrten wir zurück nach Schwansen. Christian Erdmanns Einsatz war da lange noch nicht beendet. Per WhatsApp blieb ich noch lange mit ihm in Verbindung und hoffte auf ein Wunder.
Nachdem das Weibchen des Revierpaares im März 2020 in eine Denker & Wulf – Windkraftanlage im Windpark Altenhof/Holtsee flog und verendete, fand der Terzel schnell ein neues Weibchen. Wir waren sehr glücklich darüber, dass das junge Paar gleich in diesem Jahr zwei Jungadler im Horst großzog. Als bekannt wurde, dass bei dem Weibchen, welches unter der Windkraftanlage lag, während der Untersuchungen im Landeslabor alte Schussverletzungen festgestellt wurden, waren viele Menschen schockiert. Als Seeadlerverein konnten wir gemeinsam mit dem NABU Kappeln-Nordschwansen eine Belohnung von 5.000 € zur Ergreifung des illegalen Schützen ausloben.
Aus diesem Grund läuteten bei uns selbstverständlich nun alle Alarmglocken bezüglich des jungen Seeadlers aus diesem Revier.
Gegen 2.30 Uhr am Freitag in der Frühe schrieb Christian mir, dass der junge Adler es leider nicht geschafft hat. Der Adler war durchsetzt von Maden, welche ihn regelrecht aufgefressen haben bzw. durch eine dadurch ausgelöste Blutvergiftung zum Tod des Adlers geführt haben. Die Verletzungen des Seeadlers waren gering, so dass wir davon ausgehen müssen, dass er es bei schnellerem Auffinden mit hoher Wahrscheinlichkeit überlebt hätte. Doch die Fliegen sind zu dieser Zeit tückisch und legen ihre Eier sofort in kleinste Wunden. So muss traurig festgestellt werden, dass das Tier qualvoll verenden musste.
Am Ende muss auch ein wenig Selbstkritik dabei sein, denn auch ich habe mich durch die Scherben des Blinkers und die Blutspuren auf der Straße fehlleiten lassen. Aufgrund der Aussagen von Passanten mussten wird davon ausgehen, dass es vor Kurzem zu einer Kollision des Adlers mit einem KFZ kam. Richtiger wäre es gewesen, den Adler umgehend zur Ruhe kommen zu lassen und ihn mit Flüssignahrung zwangs zu versorgen, abzuwarten, nochmals mit Nahrung zu versorgen und ihn dann erst zu transportieren.
Die Stunden ehrenamtlicher Arbeit haben am Ende leider nicht dazu geführt, dass der noch so junge Adler viele Jahre in Freiheit seine Kreise über uns ziehen kann – jedoch war jede Minute des Einsatzes lohnenswert.
An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei den Passanten bedanken, welchen der Seeadler am Rande der Straße nicht egal war und die deshalb die Polizei informierten. Dem Gutsbesitzer und dem Jagdausübungsberechtigten sei gedankt, dass sie uns umgehend informierten. Und der Polizei in Schwedeneck danken wir, dass sie sensibel und kritisch den Fundort betrachten. Ich danke Frank Metasch dafür, dass er mich spontan begleitete und bis in die Nacht dabei war. Mein Dank gilt dem Seeadlerkenner Uwe Robitzky für seine fachliche Einschätzung mit verbundener Aufklärung. Und natürlich gilt der größte Dank Christian Erdmann und seinem Team, dessen Arbeit Frank Metasch und mich sehr beeindruckt hat und unseren größten Respekt verdient. Wie aufopferungsvoll diese Menschen dort arbeiten, hat mich sehr bewegt, nachdenklich gemacht und die Tage immer wieder intensiv beschäftigt. (Bericht und Fotos: Frank Dreves)